“Nicht zu wissen, wer ich bin, ist der Grund meines Glücks”

Ich bin bereit, über meine psychologische Krankheit zu sprechen, die ich allem Anschein nach gerade heile…

Alberto José Varela (Dez. 2009)

 
Dies ist ein kurzer Auszug der Einführung des zweiten Buchs, das ich während meines Gefängnis-Aufenthaltes schrieb, als ich 14 Monate auf meinen Freispruch warten musste. Es ist ein Text als Vorauszug und ich weise schon mal darauf hin, dass es eine wenig empfehlenswerte Verrücktheit ist, dies zu lesen. Demnächst veröffentliche ich den gesamten ziemlich umfangreichen Text. Nachfolgend also ein Vorgeschmack für meine Leser.
Über mich selbst zu sprechen, ist eine der lustigsten und schönsten Sachen im Leben. Vor allem, weil ich mir bewusst bin, dass alles, was ich bezüglich mir selbst sagen kann, nur Lüge sein kann. Ich habe keinen Lebenslauf oder “Lebens-Seite” (traditioneller Ausdruck in Kolumbien), meine Lebens-Seite ist eine Seite ohne Text, obwohl ich 49 Jahre alt bin und sehr viele und verschiedene Sachen im Leben gemacht habe: (nach-)forschen, experimentieren, arbeiten, leben… doch habe ich nichts zu meiner Vergangenheit zu sagen, und das wenige, was ich über mich sagen könnte, ist ungewiss, da es von meinen eigenen Interpretationen abhängig wäre, und das bringt mich nur zum Lachen. Der Witz ist, dass ich mich selbst nicht in irgendeiner Weise definieren kann.

 
Wenn einer ein Buch schreibt, ist das so, als ob das Ego des Autors von zwei Buchklappen eingerahmt werden würde. Dieses Buch habe ICH geschrieben. Irgendwie ist hier das Ego von Alberto José Varela eingerahmt, weshalb ich vor der Veröffentlichung dieses Buchs überlegt habe, ob ich überhaupt meinen Namen als Autor und vielleicht besser ANONYM angebe, dann würden wir uns das alles ersparen und die Leser sich mehr auf den Inhalt konzentrieren. Letzlich entschied ich aus freiem Willen, nicht nur unter meinem Name zu veröffentlichen, sondern ausserdem einen Raum zu reservieren, um über mich selbst zu sprechen und zu hinterfragen, wer und was ich bin. Nicht, um Dir meine Erfolge und Preise zu präsentieren und auch keine Titel, um Dir meine Erfahrung zu beweisen.

 
Von meiner inneren Freiheit aus erlaube ich mir, über mich zu schreiben, jedoch nicht in Bezug auf das, was ich mache, habe oder welcher Tätigkeit ich mich widme. Normalerweise veröffentlichen die Verlage einen kleinen Lebenslauf für ihre Leser, doch möchte ich Dir nichts über meine Vergangenheit erzählen, da ich mich davon befreit habe, und auch nicht, was ich jetzt gerade mache oder Dir irgend etwas anbieten. Ich fühle, dass ich nur von meiner Gegenwart sprechen kann, nicht, weil ich die Vergangenheit verneine, sondern weil ich gar keine mehr habe. In diesem Sinne kann ich nur davon sprechen, was ich allem Anschein nach in diesem Moment bin, denn was ich von einem transzendentalen Gesichtspunkt der Zeit aus gesehen bin, weiss ich noch nicht und dass bisschen, das ich kenne, ist in einem ständigen Änderungsprozess begriffen.

 
Alles, was ich oder andere über mich sagen könnten, ist eine Interpretation, doch Deine Interpretation über mich könnte viel zutreffender sein als meine eigene, weshalb ich empfehle, Dich auf Deine Interpretation über mich zu konzentrieren, da Dir dies sehr nützlich sein wird für Deine eigene Selbstfindung. Die Lüge ist sehr nützlich auf dem Weg zur Wahrheit. Man muss lediglich wissen, den Hinweisen zu folgen, welche Dich direkt zur Wahrheit führen.
Niemand ist, was er sagt, das er ist. Niemand ist, was er zeigt, was er ist. Niemand ist, was er scheint, was er ist.

 

Deshalb befinden wir uns innerhalb einer sozialen Lüge von ausserordentlichen Dimensionen. Doch ist es wirklich wunderbar, Treffen mit anderen menschlichen Wesen zu haben, um eine Ahnung zu bekommen, was sie tatsächlich sein können. Dieses Buch ist eine Gelegenheit, uns jenseits der Erscheinungsformen zu treffen.

 
Jack Nickolson sagte: “Millionen Menschen haben mich in vielen Filmen gesehen, in welchen ich Dutzende von Rollen gespielt habe, doch niemand kennt den wirklichen Jack”.

 
Die Wahrheit ist ein Treffen mit einem selbst und in einem selbst. Egal was man dort findet, es ist gut, jedoch führt der Weg dorhin durch harte und dicke Schichten von Anschein und Lüge, Masken und Identitäten, die nicht zu einem selbst gehören. Und auf diese Weise wird sich einer bewusst, was er ist. Was dort draussen passiert, spielt keine Rolle, jedoch müssen viele Dinge von der Lüge aus passieren, um zur individuellen Wahrheit zu gelangen. Bevor wir nicht hoffnungslos im Gefängnis unseres Alltagslebens festsitzen, entsteht nicht das Bedürfnis, daraus entkommen zu wollen.

 
SEIN ist eine tagtägliche Flucht. Was ich bin, manifestiert sich Schritt für Schritt von alleine, im Takt meiner Akte, Lügenmauern abzureissen – so zeigt sich in Freiheit, was ich bin, ohne jede Kraftanstrengung. Meine Essenz fliesst und ich verliebe mich jeden Tag in mich selbst. Ich liebe mich selbst jede Nacht in der Dunkelheit und Einsamkeit einer Zelle, die sich in den Bauch meines Bewusstseins verwandelt.

 
Das, was wir sind, ist etwas derart natürliches und subtiles, dass es nur wache Personen entdecken können, weshalb eine ausserordentliche Sensibilität erforderlich ist, um sich von etwas so sanftem und feinem wie der Wahrheit innezuwerden.

 
Philippe Gaulier, Schauspieler, Dramaturg und Pädagoge, sagt: “Schauspieler ist kein Job für ehrliche Leute, mir gefallen Leute, die lügen; wenn ich zu einem Abendessen bei ehrlichen Leuten eingeladen werde, gehe ich nicht hin, ich würde mich langweilen”.

 
In diesem Sinn bin ich ein Schauspieler, eine erfundene Persönlichkeit. Wir Menschen interagieren ständig mit der Gesellschaft; wir ändern uns und passen uns unserer Umgebung an, damit diese mit uns zufrieden ist,
so als ob das Leben ein Theaterstück sei und wir alle die Schauspieler, die Rollen spielen gemäss einem von anderen geschriebenen Skript. In dieser Lüge zu leben ist tragisch, doch dies zu beobachten, ist befreiend und sehr unterhaltsam.

 
Beobachten zu können, wie ich während meines ganzen Lebens in einer winzigen Identität gefangen war, bringt mich richtig zum Lachen und das Lachen erlaubt, viel Energie zu befreien, die sich im Lauf vieler Jahre der Unzufriedenheit angestaut hat; denn es ist ein sinnloser Wahnsinn, ein Gefangenen-Leben zu führen und das Ego zu verwirklichen und gross und grösser zu machen. Und aus diesem Wahnsinn entkommt man nur mit einem noch grösseren Wahnsinn: das Ego verlassen, wie ein Haus, in dem man gewohnt hat. Vom Gesichtspunkt meines Seins aus lebte ich in einem Haus, das nicht meines war, ich war ein Besetzer. Das Ego war viele Jahre lang mein Gefängnis. Im Ego zu leben heisst in der Hölle zu leben, oder besser gesagt in ihr zu sterben. Von der Perspektive des Egos aus war ich ein Eindringling, weil ich die Position besetzt hielt, die nur dem Sein entspricht. Im Sein zu leben bedeutet, im Paradies zu leben. Das heisst, lebendig zu sein, indem ich das Leben in mir lebe und spüre. Uns des Lebens bewusst zu sein, bringt uns zum natürlichen und zum essentiellen, es ist der Weg der Wahrheit.
Wenn wir versuchen, uns ein Bild davon zu machen, was wir sind, können wir nicht anders als uns grösser zu machen als wir sind, was ich “Existitis” nenne. Diese Worterfindung meinerseits ist die Definition der psychologischen Krankheit, an der ich fast mein ganzes Leben lang gelitten habe und welche die Psychologen oder Psychiater idiopathisch oder essentiell nannten, kurz gesagt hatten sie keine Ahnung, woher und warum sie sich manifestierte, deshalb erfand ich diesen Ausdruck, um meine Krankheit zu definieren: “Existitis” bedeutet Entzündung des Egos, d.h. wenn die eigene Existenz sich zu mehr aufbläht als sie eigentlich ist. Eines Tages hatte ich die Nase voll, so viele Baugerüste vor der Fassade meiner Identität aufrecht erhalten zu müssen und entschied, ich selbst zu sein. Viele fingen an, mich zu fragen: Bist du jetzt nicht durchgedreht?

 

Bis hierhin sind wir heute gekommen….sollte ich morgen noch lebending sein, werden wir ja sehen, wie es weitergeht.
ICH LASSE DICH MIT DER FRAGE, DIE ANTWORT WIRD IN KÜRZE BEKANNT GEGEBEN.
Dies ist Teil der Marketingstrategien, die ich anwende, damit wir auch weiterhin in Kontakt bleiben.

 

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