EIN BLICK AUF DIE IN DER GEGENWART MANIFESTIERTE VERGANGENHEIT

An diesem Tag möchte ich etwas über die Bedeutung des Vaters erzählen.

Heute, am 19. März, sind 24 Jahre vergangen, seit mein Vater in einem Autounfall in Argentinien gestorben ist. Er lud mich auf diese Reise ein, doch ich wollte nicht kommen. Sein Tod markierte ein Vorher und ein Nachher in meinem Leben und meinem Weg. Zuallererst setzte er einen Schlusspunkt einer gegenseitigen Kampf-Kompetenz-Bewunderung zwischen uns. Und zum anderen half er mir sehr, mich von meinem Lebensprojekt in der Stadt, in der ich lebte, zu verabschieden. Der grösste Teil meines Lebens basierte auf der Beziehung und in Referenz auf meinen Vater, weshalb sein Tod die spontane Aufgabe und das Fehlen eines Motivs bedeuteten, weiterzumachen mit all dem, was ich bis dahin getan hatte.

Offensichtlicherweise gab es etwas, das ich meinem Vater beweisen wollte, solange er lebte, und dieser ganze Aufwand war nicht mehr notwendig seit seinem Ableben. Plötzlich hatte ich die gesamte Energie für meine Absichten zur Verfügung, ohne jegliche Referenz oder Inspiration meines Vaters.

Das erlaubte mir, ein neues Leben zu beginnen, eines von vielen, die ich habe in über einem halben Jahrhundert. In diesem Augenblick, in den 90er Jahren, ging ich mit meiner Frau und unseren 3 Kindern in eine viel grössere Stadt, um zu studieren und ein anderes Lebensprojekt anzufangen, doch dauerte es nicht lange, bis auch dieses Projekt zusammenbrach, doch dieses Mal aufgrund der Trennung von meiner ersten Frau, die nach Spanien zog und ich fast 2 Jahre lang mit meinen 3 Kinder im Alter von 4, 6 und 8 Jahren blieb.

Ich könnte über viele Momente sprechen, wenn Projekte enden, und über viele Entscheidungen, wieder anzufangen; es gab viele Situationen, in welchen ein ums andere Mal meine Lebensprojekte in Trümmer gingen, obwohl ich es jedes Mal besser plante und ich des Lebens und seiner Ungenauigkeiten bewusster war, doch immer gab es etwas oder jemand, der mich antrieb oder inspirierte, meine neue Projekte zu beenden und andere zu beginnen.

Manchmal dachte ich, dass es eine essentielle Unzufriedenheit war, die mich seit jeher begleitet hatte, doch Schritt für Schritt merkte ich, dass es eine aufrichtige und tiefe Suche war, um meinen eigenen Platz zu finden, um mit den Personen zu sein, die meine Seele wollte, um zu machen, was ich zu machen liebte, jedoch nicht wusste, was es war.

Das Ereignis, das der Ursprung dieser Eskalation von Brüchen war, war der Tod meines Vaters. In einer Session mit einem Psychotherapeuten in Buenos Aires fragte er mich “Warum tötest Du nicht Deinen Vater?”, worauf ich antwortete “er ist schon in einem Unfall gestorben”, und er sagte: “Ich meine, dass er in Dir selbst sterbe”.

Von diesem Moment an begann eine wichtige Arbeit innerer Entwicklung, um – fast wie beim Exorzismus – die beeinfliessende Präsenz meines Vaters in meinem Psychismus auszustossen, welche den grössten Teil meines Lebens und meines Leidens geschaffen hatte. In einem gewissen Sinn war mein Leben nicht meines, sondern das meines Vaters. Aus diesem Grund musste er zweimal sterben, einmal körperlich und einmal psycho-emotionell, um mich von diesen unbewussten Einflüssen zu befreien, die mir nicht erlaubten, mein eigenes Lebensprojekt zu schaffen.

Es ist bemerkenswert, zu sehen und zu überprüfen, wie mir die Loslösung von meinem Vater geholfen hat. Und das interessanteste ist alles, was ab dann in meinem Leben passierte aufgrund des Loslassens jeglichen Einflusses und jeglicher Abhängigkeit. Das bemerkenswerteste ist das Erscheinen der höchsten Werte meines Vaters in meinem Leben in all ihrer Reinheit und Unschuld, ohne einzudringen oder zu stören, so als ob mich jeden Tag eine leichte Brise der Energie meines Vaters besuchen würde, um mich aus der Tiefe in meinen Aktionen und Entscheidungen zu inspirieren.

Von allem, was ich in Bezug auf meinen Vater erwähnen könnte, gibt es ein ausserordentlich bedeutungsvolles Thema, und das ist das Vertrauen: er zeigte mir zu vertrauen und darüberhinaus auch dann zu vertrauen, wenn es Gründe gab zu misstrauen. In diesem zweiten Teil war er ein Experte. Er vertraute weiterhin, obwohl Sachen geschahen, die zum Misstrauen einluden oder zumindest dazu, nicht mehr zu vertrauen. Darüber spreche ich in dem Buch, das ich vom Gefängnis aus schrieb, von meiner Freiheit aus.

Aus diesem Grund möchte ich an diesem Tag den Tod meines Vaters feiern, seinerzeit weinte ich sehr, doch jetzt lache ich und geniesse, denn seit seinem Weggang öffneten sich alle Türen, damit das ursprüngliche in mir auftauchte und ich den grossen Schatz meines Vaters behalten konnte, befreit von Blockaden, die verhinderten, dass ich ihn sehen konnte.

Papa gibt die Richtung an, die Autorität, die Liebe zur Verantwortung und auch den Impuls zur Freiheit. Besser gesagt, “mein Papa” hat mir dies gegeben, und als Vater bin ich in meinem Evolutionsprozess, um meinen 6 Kindern diese Schätze zu geben, angereichert mit Umarmungen, Zärtlichkeit, Liebe und Sanftheit in allem, was ich ihnen sage oder mit ihnen mache.

Das ist meine grosse Transformation.

Alberto José Varela

 

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